Internationale Politik
Sanktionen schaden mehr als sie nützen
Sanktionen sind ein häufig genutztes Werkzeug der internationalen Politik, um Staaten für Vergehen und Verhaltensweisen abzustrafen. Gerade in Hinblick auf die jüngste Afghanistan-Krise und den Umgang mit den Taliban ist das Thema wieder hochaktuell. Doch wie wirksam sind Sanktionen? Können sie den Wandel in betroffenen Ländern vorantreiben?
23. August 2021, von Reiner Hauser
Es geht kaum eine außenpolitische Krise vorüber, ohne dass über Sanktionen gesprochen wird. In Afghanistan etwa stellt sich nach dem neuerlichen Machtwechsel wieder einmal die Frage, wie man mit unliebigen Regimen umgehen soll. Sollen Hilfszahlungen gestoppt werden, wie es Außenminister Heiko Maas nach der Machtübernahme der Taliban angekündigt hatte? Können Sanktionen die Fanatiker unter Druck setzen, damit sie sich wenigstens an grundlegende Menschenrechte halten?
Sanktionen sind ein beliebtes Mittel der internationalen Politik, auch weil sie einen in der Regel wenig kosten. Aber bringen sie denn überhaupt etwas oder richten sie auch Schaden an? Und werden sich diese Frage nach dem Nutzen überhaupt gestellt? Werfen wir also einen Blick auf dieses Machtinstrument, dem ich in einer etwas freieren Interpretation auch Handelsembargos und Blockaden zuordnen werde.
The use of mandatory sanctions is intended to apply pressure on a State or entity to comply with the objectives set by the Security Council without resorting to the use of force. Sanctions thus offer the Security Council an important instrument to enforce its decisions.
UN-Sicherheitsrat
Die Ziele von Sanktionen sind naheliegend. Im Wesentlichen sollen Regime und Terroristen unter Druck gesetzt werden, ohne militärisch aktiv werden zu müssen. Manchmal, wie im Falle Nordkoreas und des Irans, geht es vorrangig darum, den Zugang zu Atomwaffen zu erschweren. In anderen Fällen werden Verhaltensänderungen angestrebt, etwa wenn Menschenrechten eklatant verletzt werden. Genauso kann auch die Eindämmung außenpolitischer Aggressionen oder Bürgerkriegen Ziel der Maßnahmen sein.
Waffen kommen in die Krisengebiete – trotz Embargos
Es ist daher nicht verwunderlich, dass das häufigste Mittel der Wahl das Waffenembargo ist. Fast ebenso häufig richten sich Sanktionen gegen die Reisefreiheit und Vermögen von Einzelpersonen und Regime-Vertretern. Gerade bei diesen Einsatzgebieten ist jedoch stets fraglich, welche Wirkung sie erzielen. Forscher und Politiker streiten über die Effektivität von Sanktionen im Allgemeinen, sodass wir uns die Sache einmal selbst ansehen müssen.
Waffenembargos haben unbestreitbarer Weise den Effekt, dass schweres Kriegsgerät nicht in entsprechende Länder gelangt, mit Ausnahme von Staaten wie China, die die Waffen einfach selbst bauen. Die Hauptprobleme in den allermeisten bewaffneten Konflikten sind jedoch die kleinen Waffen: Gewehre, Sprengstoff und Granaten. Sie finden ihren Weg in die Krisenregionen, weil es immer solche gibt, die aus der Katastrophe Nutzen ziehen wollen. Das mögen mal wirtschaftliche Interessen sein, oftmals machtstrategische Überlegungen und meistens Ideologien oder Religionen, die ihren Einfluss ausweiten wollen.
Dabei wäre gerade die Entwaffnung der Bevölkerung das wichtigste Gebot in Bürgerkriegsländern. Allerdings scheitert das schon am Unwillen der Herstellerländer und da ist Deutschland keine Ausnahme. Was nützt es, einzelne Krisenprovinzen in Mexiko nicht zu beliefern, wenn sich die Beteiligten nur ein paar Kilometer im nächsten Bezirk eindecken können? Genauso wenig Sinn ergeben Waffenexporte in Länder wie Saudi-Arabien (der Umgang mit diesem Land ist einen eigenen Artikel wert), das zum einen selbst ein unterdrückerisches Regime darstellt und zum anderen den radikalen Islam in der Welt fördern, jenen Islam, der auch die Taliban in Afghanistan antreibt.
Ginge es nach mir, würden privatwirtschaftliche Waffenexporte komplett verboten und in die Hände der Regierungen gegeben. Ein wirtschaftliches Interesse am Waffenbau sollte geächtet werden. Das würde natürlich auch einigen Unternehmen in Deutschland schaden, aber das sollte es uns wert sein. Es wäre zumindest ein Ansatz, der an einer der Wurzeln greift und sich nicht nur auf die Symptombekämpfung beschränkt. Freilich würde das den Missbrauch von Waffen nicht aus der Welt schaffen. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre es.
Maßnahmen gegen Einzelpersonen können Sinn machen
Sanktionen gegen Einzelpersonen und Einrichtungen können effektiv sein (zumindest behaupten das etwa die USA im Zusammenhang mit Al-Quaida-Führern), und dürften im Großen und Ganzen ein vernünftiges Mittel sein, um Entscheidungsträger abzustrafen. Der Sinn muss trotz allem von Fall zu Fall hinterfragt werden, denn alle Formen von Sanktionen können in den falschen Händen als innenpolitisches Werkzeug missbraucht werden. Dazu gleich mehr.
Ebenso können Repressalien gegen Personen die diplomatischen Möglichkeiten einschränken. Denn ein verärgerter oder trotziger Gegner ist seit jeher ein schlechter Verhandlungspartner. Andere argumentieren, dass Sanktionen gegen Regime-Vertreter zu Spannungen zwischen den Gemäßigten und den Radikalen innerhalb eines Regimes führen können, doch wie oft so etwas wirklich einen positiven Effekt hat, kann ich nicht nachvollziehen, weil die Beispiele meistens vage bleiben und generell jeder Konflikt genau wie jede Konfliktlösung einer Vielzahl an Einflüssen unterliegt, die kaum je in ihrer Vollständigkeit aufzudröseln sind, geschweige denn vorhersehbar gewesen wären.
Wirtschaftssanktionen wirken – doch auf welche Weise?
Weit größere Wirkung erzielen harte Wirtschaftssanktionen. Zumindest in Hinblick auf sichtbare Effekte, wenn auch nicht im Sinne der eigentlichen Ziele. Und das ist ein riesiges Problem, das die internationale Politik, vor allem von Seiten der USA komplett ignoriert.
Die Entscheidungsträger glauben, der wirtschaftliche Druck auf ein Volk führte dazu, dass dieses seine Führung auswechselt. Tatsächlich aber führt es in den allermeisten Fällen zu einer Stärkung des Regimes und die Gründe dafür liegen in der menschlichen Natur, die den führenden Politikern und Diplomaten eigentlich bewusst sein müssten.
Die Geschichte zeigt immer wieder, dass von außen aufgezwungen Veränderungen eher zu Trotzreaktionen als zu einem dauerhaften Wandel führen. Und so werden diese Sanktionen stets für die Propaganda im Inneren genutzt. Sie dienen als Erklärung für wirtschaftliche Miseren und vereinen die Anhänger gegenüber einem gemeinsamen, äußeren Feind. Schon die Siegerparteien des ersten Weltkriegs haben diese Zusammenhänge nicht erkannt und durch ihre Forderungen an Deutschland einen nicht zu unterschätzenden Beitrag beim Aufstieg der Nationalsozialisten geleistet.
Wandel muss von innen kommen
Echter Wandel kann in den allermeisten Fällen also nur von innen kommen. Die Menschen in einem Land müssen diesen Wandel wollen und ihn sich erkämpfen. Das mag zynisch klingen, aber die Erfahrungen aus Einmischung in allzu viele Bürgerkriege und Auseinandersetzungen beweisen diese These. Auch Afghanistan fällt diesem Trugschluss einmal mehr zum Opfer. Experten wie Elmar Theveßen und Aktivisten vor Ort berichten, dass zum einen die Amerikaner in der breiten Bevölkerung verhasst sind und zum anderen dem demokratischen System kein Vertrauen entgegengebracht wird. Wie soll auf so einem Boden das System fruchten?
Kein internationaler Einsatz kann einen dauerhaften Wandel erringen, wenn die Bevölkerung nicht bereit oder aus zahllosen Gründen nicht in der Lage ist, diesen mitzutragen. Statt nur auf die Bedrohung zu reagieren, hätte man die Dinge bei den Ursachen angehen müssen. Das betrifft die Waffenzufuhr und ausländische Geldgeber der Taliban. Das beträfe den gemäßigten Islam, der mehr auf die Fanatiker einwirken müsste. Und das betrifft die westlichen Entscheidungsträger, die aufhören müssen, anderen Nationen ungeachtet deren Voraussetzungen ihre Wertevorstellungen und Regierungssysteme überzustülpen. Man kann einer Nation bei diesen Entwicklungen helfen, aber man kann es ihr nicht befehlen.
Wohlstand ist die Triebfeder für Freiheit und Wandel
Der letzte und maßgeblichste Punkt ist dann noch der Wohlstand. In armen Ländern werden es demokratische Regierungen immer schwer haben, sich gegen Populisten, Demagogen und Fanatiker zu behaupten. Denn die große Triebfeder für dauerhaften Wandel, für Freiheit und Gerechtigkeit ist nun mal der Wohlstand. Unmenschliche Unterdrückung führt zwar zu Aufständen, doch enden die Revolutionen meist in Nachfolgeregimen der ein oder anderen Form.
Erst mit entsprechendem Wohlstand haben die Menschen die Bildung, die Zeit und die Kraft, sich eine unabhängige Meinung zu bilden und sich für Ideale einzusetzen. Wenn in Afghanistan weite Teile der Bevölkerung auf dem Land kaum Bildung genossen haben oder sogar Analphabeten sind, haben politische und gesellschaftliche Systeme wie die unseren, die auf einer hohen Breitenbildung und hohem Wohlstand fußen, keine guten Chancen.
Sieht man sich nun die Beispiele für harte Wirtschaftssanktionen und Embargos auf der Welt an, ist das Bild ernüchternd. Auf Kuba, in Nordkorea, in Belarus, im Iran, in Syrien oder im Gaza-Streifen. Nirgends haben die Sanktionen den Effekt, dass die Regime durch demokratische Systeme ersetzt würden. Stattdessen wird die Bevölkerung in den meisten dieser Länder bereits seit Jahrzehnten in noch größerer Armut gehalten, als es sein müsste. Wir tolerieren das allein, weil diese Länder weit weg und uns die Menschen dort als Individuen egal sind. In Westeuropa würden wir solche Kollateralschäden nicht erlauben.
Gerade Sektorsanktionen und Export-Verbote können einer Zivilwirtschaft enorm schaden. Natürlich ziehen Regime aus den wenigen starken Industriesektoren ihrer Länder (zum Beispiel Öl im Iran) am meisten Geld für ihre Missetaten. Doch sie sind eben auch die Hauptquelle für den Wohlstand der Bevölkerung. Export-Verbote von sogenannten Dual-Use-Gütern in solche Länder sind ebenso schädlich. Wie sollen sich moderne Industrien aufbauen, wenn alle Güter, deren Bestandteile auch für militärische Zwecke missbraucht werden können? Die Listen sind entsprechend lang.
Sanktionen stärken Regime innenpolitisch
Indem die westliche Welt solche Staaten in noch größerer Armut hält, nähren sie den Boden für radikale Verhältnisse. Erst recht mit Hinblick auf noch immer nachwirkende Kolonial- und Imperial-Zeiten ist es ein leichtes für Populisten, die Schuld für alle Missstände auf den Westen zu schieben, also auch für jene, an denen die Sanktionen keinen Anteil haben.
Man nehme etwa den Iran. Großbritannien und die USA verwehrten dem Iran nach dem Zweiten Weltkrieg volle Selbstbestimmung, um Kolonial-Ansprüche auf die iranischen Ressourcen (GB) beziehungsweise politischen Einfluss (USA) zu wahren. Als Folge driftete der Staat in immer radikalere Zustände ab und wurde letztlich zu der islamischen Republik, die wir heute haben. Da die USA die umliegenden Länder Irak und Afghanistan auch noch als außenpolitischen Bombenspielplatz missbrauchen, braucht man sich nicht zu wundern, dass es liberale Kräfte in solchen Ländern schwer haben, dem Hass entgegenzuwirken. Denn die Regime müssen Reformer nur als Helfer der verhassten Amerikaner diskreditieren. Wenn dann Sanktionen von Staaten wie den USA ausgesprochen werden, wir das als Drangsalierung der Nation empfunden und nicht als Anreiz, Diktatoren und Führer auszutauschen.
Diese Negativ-Spirale ist natürlich auch ohne Wirtschaftssanktionen gegeben, doch mit ihnen wird haben die Radikalen ein mächtiges Werkzeug mehr, um ihre Herrschaft zu legitimieren. Sie müssen stark sein, damit die Nation dem Einfluss von außen widerstehen kann. Das ist für viele ein überzeugendes Argument und so bewirken harte Wirtschaftssanktionen allzu oft das Gegenteil von dem, wofür sie ausgesprochen werden, und schaden obendrein der unschuldigen Zivilbevölkerung.
Natürlich ist der Umgang mit Nationen, die Atomwaffen bauen wollen, schwierig. Doch gerade in Nordkorea sieht man, dass die Sanktionen den Bau nur verlangsamen und nicht aufhalten. Und dafür wird ein ganzes Volk in bitterster Armut gehalten, aus der es sich ganz offensichtlich nicht mehr befreien kann. Im Gegenteil, wenn in solchen Ländern die Verzweiflung und die Radikalität steigt, wird dann die Wahrscheinlichkeit für einen tatsächlichen Einsatz von Massenvernichtungswaffen steigen oder sinken?
Die Ohnmacht der internationalen Politik
Zuletzt möchte ich noch darauf hinweisen, dass die internationalen Sanktionen keineswegs ein objektives, gerechtes Instrument sind, selbst wenn sie von der UN kommen. Die UN ist handlungsunfähig, sobald eine Vetomacht dagegen ist und diese schützen stets ihre eigenen Interessen. Die meisten relevanten Sanktionen gehen in der westlichen Welt daher von den USA aus und werden von den Europäern mitgetragen.
Während nun die USA sowie ihre Verbündeten (etwa Saudi-Arabien als Handelspartner) nie von der internationalen Politik belangt werden (etwa für den durch Lügen gerechtfertigten Angriffskrieg der USA auf den Irak), sind die Maßnahmen schnell beschlossen, wenn Staaten wie Russland aus der Reihe tanzen (etwa bei der Krim und der Ostukraine). Zwar macht das Ignorieren der einen die Untaten der anderen nicht weniger verwerflich, doch es führt dazu, dass sie sich Menschen in den betroffenen Ländern ungerecht behandelt fühlen und der anderen Seite Falschheit vorwerfen. In Russland wird jede weitere Sanktionsstrafe die Nationalisten und Regierungsbefürworter stärken und Europa von ihnen nur als Handlanger der USA gesehen.
Die ganze Ohnmacht des Sanktionssystems wurde dann beim Ausstieg der USA aus dem Atom-Deal mit dem Iran aufgezeigt, der kurzzeitig Hoffnung in der islamischen Republik aufkeimen ließ. Als Präsident Trump das Abkommen aufkündigte, verschärfte sich die Wirtschaftslage erneut und die Hardliner wurden wieder gestärkt. Und kein Wunder, sie mussten ja nur auf den Westen zeigen und darauf hinweisen, dass der Westen nicht vertrauenswürdig sei und das einen feindlichen Kurs nötig mache. Auch dem radikalen Islam spielt das immer wieder in die Hände, weil er alles Westliche verurteilen kann und eine weitere Argumentationsbasis bekommt, die Freiheit der Menschen einzuschränken.
Und die Europäer? Die haben immerhin eingesehen, dass der Deal für die friedliche Zukunft der Region besser wäre. Doch aus Angst, sich gegenüber den USA zu emanzipieren und eventuell selbst Sanktionen erdulden zu müssen (zu denen es unter Trump dennoch gekommen ist, siehe Nordstream 2), knickte man ein. Das Abkommen ist de facto tot.
Auch wenn man intuitiv Regime bestrafen möchte, sollten meiner Meinung nach vor allem die Wirtschaftsembargos überdacht werden. Sie erschweren es den Staaten, ihre Probleme selbst zu lösen, was in fast allen Fällen der einzige Weg hin zu dauerhaftem Wandel war und wäre.
Zum Schluss: Glauben Sie bitte nicht blind, was ich schreibe. Glauben sie nie blind, was irgendwer schreibt. Ich verfasse meine Artikel auf Basis von Informationen, die ich durch Nachrichten, Artikel, Freunde im Ausland und eigener Interpretation von aktuellen und geschichtlichen Zusammenhängen gewinne. Aber am Ende ist es nur meine persönliche Meinung. Nehmen Sie diese als Anreiz, sich eine Meinung zu bilden oder Ihre bestehende mit der ein oder anderen neuen Überlegung zu erweitern.
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